Diesen Sommer habe ich meine morgendliche Yogapraxis auf unserer Terrasse im Herzen Lüneburgs genossen. An manchen Morgen sah ich zwei Tauben, die friedlich schlafend auf einem Fenstersims kuschelten, bis die Sonnenstrahlen sie sanft weckten. Ihre beruhigende Anwesenheit lies mich über unsere Beziehung zu diesen Wesen nachdenken.
Die Taube (Eka Pada Rajakapotasana) ist eine Asana, die viele Praktizierende sehr gerne mögen und gerne länger darin verweilen. Diese hüftöffnende Vorbeuge dehnt nicht nur den Oberschenkel, Hüftbeuger, Piriformis und Psoas, es ist auch eine Asana, die für viele Menschen zugänglich ist. Überraschenderweise steht das Maß an Zuneigung und Genuss für diese Asana im starken Kontrast zu der Abneigung und dem Ekel, den Tauben in der Welt begegnen.
Alle Tauben, die heute in Städten wohnen, waren einmal domestizierte Tiere. Menschen züchteten und nutzen sie, um Briefe zu verschicken und sie zu essen. Auch heute gilt „Taube“ als Delikatesse. Während meiner Online-Recherche zu Tauben schlug Goolge vor, sie zu fangen, zu vertreiben oder gar zu töten. Die Erzählung, dass Tauben schmutzige Tiere sind und Krankheiten übertragen können, hält sich bis heute in vielen Köpfen. Diese Behauptung ist falsch und eine Form von avidyā, also falschem Verstehen.
Tauben sind sehr reinliche Wesen. Sie lieben es, ein Bad zu nehmen, wenn möglich ein oder zweimal am Tag. Wenn es regnet, spreizen sie ihre Flügel und nehmen eine Dusche. Sie übertragen keine Krankheiten, noch tun das andere Vögel in der Stadt. Tauben sind monogame Wesen: sie entscheiden sich für eine*n Lebenspartner*in, bleiben zusammen und ziehen ihre Kinder gemeinsam auf. Wenn die verpartnerte Taube stirbt, bleibt die andere Taube alleine. Die grauen Vögel mit dem violett-grünen Kragen sind nicht nur sehr loyal, sie können auch bis zu 1.800 Muster wiedererkennen. In einer Studie konnten sie Bilder von Marc Chagall und Vincent van Gogh unterscheiden. Außerdem können sie menschliche Gesichter erkennen und deren Emotionen unterscheiden.
Selbst wenn Tauben nicht diese unglaublichen Fähigkeiten hätten, würde ihr Wert der gleiche bleiben. Avidyā führt zu falschem Verstehen, was wiederum zu einem dualistischen Verständnis der Welt führt. Es erschafft ein „ich“ und „die anderen“. Die Praxis von ahimsa (Gewaltlosigkeit) lädt uns ein weniger Schaden in der Welt anzurichten und ist eng verbunden mit avidyā. Wenn wir anderen Menschen, Tieren oder der Umwelt Schaden zufügen, trifft das am Ende auch uns.
Das nächste Mal, wenn du eine Taube siehst, versuch an das Friedenssymbol zu denken. Egal ob weiß, grau oder braun – Tauben senden uns jeden Tag unzählige Einladungen, friedlich zu sein.
Shanti. Shanti. Shanti.
sarve bhavantu sukhinaḥ
sarve santu nirāmayāḥ
sarve bhadrāṇi paśyantu
mā kaścid duḥkha-bhāg bhavet
May all be happy.
May all be free from sickness.
May all look to the good of others.
May none suffer from sorrow.
—Vedic Prayer
Tauben haben mich 2023 das ganze Jahr begleitet. Ich habe drei verletzte Tauben gefunden und an den Taubentierschutzbund Lüneburg vermittelt. Als man mich fragte, ob ich etwas spenden könne, kam mir die Idee ein Spenden Candlelight Yoga Special zu geben. Anfang Dezember 2023 fand dies statt und wir konnten 200€ Spende sammeln.